In der Prozessindustrie stehen Anlagenbetreiber vor großen Herausforderungen: effizientes Engineering, präzise Anlagenplanung, schnelle Inbetriebnahme und die Herstellung von Produkten mit höchster Effizienz und Qualität. Die Digitalisierung verspricht Lösungen, indem sie wertvolle Prozessdaten zur Optimierung nutzt. Während sich viele Digitalisierungsprojekte jedoch auf die Vernetzung von Informationsquellen mit unternehmensweiten Systemen fokussieren, bleibt ein wertvoller Datenschatz bisher ungenutzt: erweiterte Diagnosedaten und zusätzliche Prozesswerte aus Feldgeräten. Diese Daten könnten eine vorausschauende Wartung ermöglichen und ungeplante Ausfälle verhindern, doch die bisherigen Technologien wie HART, PROFIBUS oder die 4…20 mA-Technik stoßen an ihre Grenzen – geringe Geschwindigkeit, begrenzte Bandbreite und die Komplexität durch Protokollkonvertierungen behindern den Fortschritt. Auch die Datenübertragungstechnik Ethernet wurde jahrzehntelang nur in Büroräumen der chemischen Industrie genutzt. Doch dank der neuen physikalischen Schicht Ethernet Advanced Physical Layer, kurz APL, hat sich diese Technik zu einem großen Hoffnungsträger der Digitalisierung entwickelt.

Bildquelle: Endress+Hauser
Der Schlüssel zum Datenschatz
Bisher war der Einsatz von Ethernet in vielen Prozessindustrien aufgrund von Sicherheitsrisiken stark begrenzt. Das jüngste Mitglied der Ethernet-Familie ermöglicht nun aber die vollständige Ethernet- und TCP/IP-Konnektivität in gefährlichen Umgebungen wie Chemieanlagen, der Öl- und Gasindustrie sowie in Wasserstoffproduktionsstätten. Außerdem erlaubt es Geräten in der Prozessindustrie, mit hoher Geschwindigkeit und über Distanzen von bis zu 1000 Metern zu kommunizieren. Strom- und Kommunikationssignale werden dabei über ein einziges zweiadriges Kabel geführt. Mit APL für Industrial Ethernet Protokolle wie PROFINET oder auch Ethernet-IP steht also ein Paradigmenwechsel an, denn sie überwindet die bisherigen Limitierungen und schließt als Schlüsseltechnologie die Lücke in der Automatisierungspyramide hin zur Feldebene.

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Erfolgreiche Lasttests haben Marktreife von Ethernet-APL bewiesen
Um die Leistungsfähigkeit von Ethernet-APL unter Beweis zu stellen, führte Endress+Hauser bereits Anfang 2023 Lasttests durch, die einen realistischen Einsatz dieser Technologie simulierten. Die Ergebnisse dieser Tests zeigten eindeutig, dass Ethernet-APL den hohen Erwartungen der Prozessindustrie gerecht wird. Dafür wurden rund 240 Messgeräte und Komponenten von Endress+Hauser auf die Interoperabilität und Zuverlässigkeit von Ethernet-APL getestet. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Ethernet-APL erfüllte alle wesentlichen Anforderungen, einschließlich Netzlast, Skalierbarkeit, Fehlertoleranz und Redundanz-Umschaltzeiten, und übertraf diese in einigen Bereichen sogar.
Erwartungen seitens der Industrie sind groß
Mit Ethernet APL erfüllt sich der langjährige Wunsch vieler Anwender nahtlos von der Unternehmensebene in die Anlagenwelt und sogar bis hinunter in das einzelne Feldgerät zu schauen, Daten abzurufen und zu aggregieren sowie Probleme und Aufgaben der Mess- und Regeltechnik von der Leitwarte aus zu lösen. Durch die höhere Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit des Netzwerks können Produktionsprozesse damit flexibler gestaltet und automatisierte Prüfabläufe effizienter durchgeführt werden. Dies führt zu einer besseren Anlagenperformance, verkürzten Stillstandzeiten und reduzierten Wartungskosten. Die Anlagen profitieren zudem von einer durchgängigen Vernetzung, die den Zugang zu den Komponenten vereinfacht und eine schnelle Bereitstellung hochauflösender Prozessdaten ermöglicht. Diese Daten erleichtern die zustandsorientierte Wartung und ermöglichen tiefere Diagnosen der Anlagenzustände, was die Verfügbarkeit erhöht und die Wartungsintervalle besser steuerbar macht. Zudem ermöglicht die Technologie innerhalb der Verwendung von Profinet, mithilfe des Profil 4.0, die Durchführung eines reibungslosen Gerätetausches in der Anlage.
Vorteile im Engineering
Für das Engineering, also die Planung und Projektierung der Anlage, bedeutet Ethernet-APL eine deutliche Vereinfachung. Durch die Automatisierung und die reduzierte Komponentenauswahl wird der Planungsaufwand gegenüber traditionellen Feldbustopologien verringert. Zudem ermöglicht die Direktverdrahtung zwischen Feldkomponenten und den Switches eine schnellere und effizientere Inbetriebnahme. Diese Vorteile führen dazu, dass Anlagen schneller produktiv werden, was sowohl die Investitions- (CAPEX) als auch die Betriebskosten (OPEX) senkt.
Vorteile für Mitarbeiter
Mitarbeiter, die für den laufenden Anlagenbetrieb verantwortlich sind, profitieren besonders von der erhöhten Geschwindigkeit der Gerätekommunikation über Ethernet-APL. Mit einer Datenübertragungsrate von 10 Mbit/s wird der Umgang mit datenintensiven Anwendungen, wie der Parametersicherung oder kontinuierlichen Datenauswertungen, spürbar erleichtert. Die durchgängige Vernetzung bis in die höchsten Automatisierungsebenen vereinfacht zudem den Zugang zu den Anlagenkomponenten und ermöglicht eine schnellere Reaktion auf betriebliche Anforderungen. Insgesamt wird die Arbeit für das Betriebspersonal effizienter und weniger fehleranfällig, was sich positiv auf die Anlagenverfügbarkeit auswirkt.

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Startschuss erfolgt: Erste Anwendungsfälle
Endress+Hauser treibt die Digitalisierung in der Prozessindustrie gezielt voran, indem das Unternehmen seine Messtechniklösungen umfassend auf die innovative Ethernet-APL-Technologie ausrichtet. Endress+Hauser unterstützt dabei eine breite Palette von Messparametern mit Profinet-APL und bietet zusätzlich Digitalisierungsservices für Ethernet-APL an. Für den Parameter Durchfluss sind die bewährten Durchflussmessgeräte Promag und Promass, ausgestattet mit den Geräteelektroniken Proline 300/500, nun mit der neuen Ethernet APL Technologie als Profinet APL Variante verfügbar. Auch das Vortex-Durchflussmessgerät Prowirl 200 ist mit Profinet-APL ausgestattet, was eine nahtlose Integration in moderne Netzwerke ermöglicht. Im Bereich der Füllstandsmessung setzt Endress+Hauser auf die neuesten 80 GHz Radarsensoren der Micropilot-Serie, die ebenfalls Ethernet-APL unterstützen. Bei der Druckmessung kommen die High-End-Transmitter Cerabar und Deltabar zum Einsatz, während für die Temperaturmessung der innovative Kopftransmitter iTEMP TMT86 angeboten wird. Diese Geräte bieten hohe Präzision und Zuverlässigkeit und sind optimal für die Integration in Profinet-APL-Netzwerke ausgelegt.
Ein besonderes Highlight ist die kontinuierliche Diagnose, Verifizierung und Überwachung durch die Heartbeat Technology, die mit Profinet-APL kompatibel ist und eine konstante Überwachung der Prozessbedingungen ermöglicht. Zukünftig wird Profinet via Ethernet-APL auch in das cloudbasierte IIoT-Ökosystem Netilion eingebunden, wodurch die Möglichkeiten zur Digitalisierung und Vernetzung weiter ausgebaut werden.

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Flickenteppich schließen, Herausforderungen angehen
Die Verfügbarkeit von Ethernet-APL-Hard- und Software ist bereits sichergestellt, und die Erwartungen der Verantwortlichen in Engineering, Beschaffung und Betrieb sind klar: Sie wollen keine Flickenteppiche aus unterschiedlichen Systemen mehr. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, ist es entscheidend, dass Anbieter schnell und umfassend einen signifikanten Anteil ihres Produktportfolios für die neue Technologie fit machen. Diese Entwicklungen sollten die Kundenseite dazu motivieren, Neuanlagen bevorzugt in der APL-Technologie zu realisieren.
Während die Technologie enorme Vorteile bietet, bringt sie auch neue Risiken mit sich. Insbesondere Webserver, die mit Ethernet-APL verbunden sind, haben eine größere Angriffsfläche für Cyberattacken im Vergleich zu analogen Geräten. Dies stellt eine bedeutende Herausforderung dar, die die gesamte Branche betrifft. Die Profibus-Nutzerorganisation (Profibus International) arbeitet bereits daran, herstellerübergreifende Standards für die Implementierung von Cyber-Security-Lösungen zu entwickeln. Diese Standards müssen jedoch weit über die Anforderungen eines einzelnen Unternehmens hinausgehen und eine umfassende, branchenweite Lösung bieten. Dabei ist entscheidend, dass alle Beteiligten – von Herstellern bis zu Endanwendern – zusammenarbeiten, um robuste Sicherheitsstandards zu etablieren, die den Anforderungen der modernen, vernetzten Industrie gerecht werden. Nur so kann Ethernet-APL sein volles Potenzial entfalten und die Prozessindustrien sicher in eine digitalisierte Zukunft führen.