Urlaub auf einer Insel? Dazu würde aktuell vermutlich niemand nein sagen. Aber wie sieht es mit Insel-Lösungen in der Industrie aus? Diese sorgen für die Nutzer zunehmend für MehrAUFWAND statt für MehrWERTE – ein wichtiger Themenschwerpunkt der 35. Folge des Industrial IoT Podcasts. Die Interviewgäste Burkhard Schranz (Geschäftsführer, optiMEAS) und Patrick Zenker (Entwicklungsingenieur, Trelleborg) berichten über ihren erfolgreich umgesetzten Use Case in der Schienenfahrzeugindustrie, aktuelle Entwick-lungen und Zukunftsvisionen.
Zusammenfassung der Podcastfolge
Die Firma optiMEAS wurde 2009 mit dem Ziel gegründet, “internetgestützte Messtechnik“ in der Industrie auszurollen. Seither digitalisiert das Unternehmen physikalische Prozesse in verschiedensten Branchen und bereichert mit ihren intelligenten Lösungen neben der Schienenfahrzeugindustrie unter anderem auch die Elektromobilität, Bau- und Landmaschinen, die Anlagentechnik oder die Energieindustrie. Der Use Case handelt von ihrem gemeinsamen Projekt mit der Firma Trelleborg, einem weltweiten Leader in der Entwicklung von Polymer-Komponenten für Dichtungs- und Dämpfungsanwendungen. Thema des Projektes ist die smarte, digitale Transformation von Schienenfahrzeugen und all ihren Bestandteilen.
Wie gehen optiMEAS und Trelleborg auf dem Weg der Datensammlung und Mehrwerterzeugung vor? Wie es Burkhard Schranz salopp auf den Punkt trifft: „Wir machen “dumme“ Komponenten schlau!“. Bauteile, die in ähnlicher Weise bereits hergestellt werden, werden selbst zum Sensor umfunktioniert. Sie überwachen ihre eigene Leistung und im Zusammenspiel das komplette Fahrzeug. Veränderungen in der Fahrweise, mögliche Lagerschäden oder sonstige Probleme werden frühzeitig detektiert und mitgeteilt, bevor es zu größeren Ausfällen kommt. Hierbei ist im Use Case von sicherheitskritischen Bauteilen die Rede, deren einwandfreies Funktionieren nicht nur an Geld, sondern auch an Menschenleben gebunden ist. Durch diese Ermüdungsüberwachung kann die Lebensdauer der Komponenten anhand ihrer tatsächlichen Belastung im Feld berechnet werden – ein enormer Benefit der Lösung. Anhand der Messdaten lassen sich zudem auch geplante Austauschintervalle, der Service und die gesamte Instandhaltung optimieren. Diese vorausschauende Wartung verbessert Prozesse und generiert unmittelbar monetäre Einsparungen in nennenswertem Ausmaß.
Weiterhin werden in dieser Podcastfolge die sogenannten Insel-Lösungen kritisiert und ganzheitliche, systemübergreifende Ansätze besprochen, die den Endkunden in den Fokus rücken. Es geht um Retro-Fitting und Mehrwerte, die optiMEAS auch in anderen Bereichen wie z. B. bei Betonpumpen oder Hochspannungstrennschaltern erzielen konnte. Ein wichtiges, zukünftiges Ziel ist es zudem, Fehlerbilder und ihren Ursprung konkret aufzuzeigen.
Podcast Interview
Hallo Burkhard, hallo Patrick – herzlich willkommen zum IIoT Use Case Podcast. Ich freue mich sehr, dass ihr mit dabei seid. Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt. Ich würde direkt mit Burkhard und einer kleinen Vorstellungsrunde starten.
Burkhard
Hallo, ich bin Burkhard Schranz, Geschäftsführer der Firma optiMEAS. Ich habe die Firma 2009 zusammen mit drei weiteren Gründern mit dem Hintergrund der internetgestützten Messtechnik ins Leben gerufen. Das ist natürlich heute kein moderner Begriff mehr – heute nennen wir das Industrial IoT. Von daher bin ich genau mit meinem Thema bei dir im Podcast auch richtig. Das Unternehmen beschäftigt sich mit der Digitalisierung von physikalischen Prozessen. Wir haben als Märkte ganz wesentlich den Bereich Schienenfahrzeuge, Baumaschinen, Landmaschinen, Elektromobilität, Anlagentechnik und die Energieindustrie. Warum sind es so viele verschiedene Industrien? Das liegt einfach daran, weil wir mit ein und derselben Technologie ganz viele Anwendungen abdecken können.
Um die Vorstellungsrunde komplett zu machen: Patrick, kannst du ein paar Punkte zu deiner Person und deinem Unternehmen sagen?
Patrick
Mein Name ist Patrick Zenker. Ich bin Entwicklungsingenieur bei Trelleborg in der Abteilung Innovation und Digital. Zu meinem Hintergrund: Ich komme eigentlich mehr aus dem typischen Werkzeugmaschinenbau. Dort habe ich eine Ausbildung gemacht und als Inbetriebnahmetechniker gearbeitet. Nach einer gewissen Zeit habe ich mich dann doch noch zum Studium durchgerungen. Ich habe Mechatronik bis zum Master studiert und bin dann durch meine Masterarbeit und das Praktikum zu Trelleborg gekommen, wo ich jetzt immer noch tätig bin. Mein Bereich, in dem ich arbeite, ist eigentlich alles – das sagen wir hier immer so schön – wo irgendwo ein Kabel hinten rauskommt. Das ist ein bisschen abseits unseres normalen Tagesgeschäfts. Trelleborg ist eine Unternehmensgruppe aus Südschweden. Wie der Name schon sagt, kommen wir aus der Stadt Trelleborg. Wir sind ein weltweit führendes Unternehmen und Spezialist in der Entwicklung von Polymer-Komponenten, größtenteils für Dichtungs- und Dämpfungsanwendungen. Aufgeteilt sind wir in drei Hauptgeschäftsbereiche: Einmal die Trelleborg Sealing Solutions, die sich hauptsächlich mit Dichtungstechnik beschäftigen. Dann Trelleborg Wheel Systems, hier geht es wirklich um Reifen in allen Geschäftsbereichen vom Fahrrad bis zum Traktor. Und zum Schluss gibt es noch die Trelleborg Industrial Solutions, in der wir hier in Velten bei Berlin zugeordnet sind. Wir beschäftigen uns größtenteils mit den restlichen Anwendungen bei denen Polymerlösungen gefordert sind. Bei uns hier in Velten ist das speziell der Schienenfahrzeugbereich, wie auch Burkhard schon erwähnt hat. Bei uns nennen wir das OHI, also Off Highway Industry. Darunter fallen solche Anwendungen wie z. B. industrielle Schwingungsentkopplungsanwendungen, Baulandmaschinen, Marine oder Aerospace.
Da würde ich gleich noch mal ein bisschen im Detail nachfragen. Kurz vorab: Wir haben uns ja heute das Thema Schienenverkehr vorgenommen. Ihr habt beide sehr viel mit Kunden aus dem Bereich zu tun. Ich würde gern die Hörer abholen, die da vielleicht noch gar nicht so tief im Detail stecken, um das Thema ein bisschen zu verorten. Burkhard, kannst du uns kurz abholen, welche verschiedenen Rollen es im Schienenverkehr gibt und uns ein bisschen in das Thema einführen?
Burkhard
Man muss sich erstmal überlegen: Was hat das Ganze für einen Nutzen? Wa-rum betreiben wir Digitalisierung im Schienenverkehr? Ich meine, jeder kennt es: Man steht vor der Tür und die Tür geht nicht auf. Die Toilette ist abgeschlossen, weil sie nicht richtig entleert ist – das sind so ganz simple Geschichten. Das kann aber natürlich auch bis dahin gehen, dass natürlich ein Antrieb oder ein Motor ausfällt, die Bremse nicht richtig funktioniert, ein Lager kaputt ist. All diese Dinge führen dazu, dass in irgendeiner Weise einen Service oder einen Wartungsbedarf bekomme. Von der Rollenverteilung her ist es heute in Deutschland deutlich heterogener, als es das vor vielen Jahren noch war. Wir haben heute Betreiber, die Regionalstrecken, also einzelne Bahnen, haben. Speziell in den Ballungsgebieten sind das unterschiedliche Betreiber der Strecken. Obendrauf kommen dann Instandhalter. Es kommt jemand, der den Fahrplan macht. Es kommen die Streckenbetreiber, die die Schienen zur Verfügung stellen, bis dahin, dass natürlich auch die Energie irgendwo herkommen muss. Das heißt, wir haben in diesem Spiel ganz viele, ich nenne sie mal Stakeholder, die alle natürlich eine Komponente sind, um den Gesamtprozess zum Laufen zu bringen. Was wir jetzt tun: Wir schauen, dass wir mit unserer Technologie an die einzelnen Komponenten rangehen, die Komponenten überwachen und versuchen herauszukriegen, was ist möglicherweise in der Historie mal schief gegangen? Wie kam es zu irgendeinem ganz bestimmten Fehlerbild? Wir unterstützen damit die Instandhaltung, den Service, die Wartung und sorgen dafür, dass so ein Fahrzeug auf der Strecke nicht liegen bleibt, dass bei einem Fahrzeug im Betrieb nichts kaputt geht, sondern man vorher oder nachher wartet.
Jetzt hattest du von verschiedenen Komponenten gesprochen: Darunter verstehst du die verschiedenen Komponenten innerhalb dieser Schienenfahrzeuge, richtig? Das kann ein Motor sein, aber es kann auch jegliche andere Komponente sein?
Burkhard
Ja, eine Komponente ist für mich in der Tat eine Tür, ein Motor, ein Rad mit einem Radreifen, ein Lager und insbesondere natürlich auch all das, worüber wir mit Patrick reden und mit Trelleborg zusammenarbeiten. Wir sprechen hier von intelligent gemachten Komponenten – aber ich will nichts vorweggreifen, sondern ich glaube, dass Patrick, bestimmt selbst gern etwas zu sagen würde.
Patrick, du hattest gerade gesagt, ihr seid auch in verschiedenen Schwingungsanwen-dungen unterwegs und im Bereich Industrial vor allem was die Polymere angeht. Das würde ich noch mal gern ein bisschen konkretisieren. Kannst du uns in den Use Case und den Bereich Schienenverkehr einführen – was setzt der Kunde von euch ein? Wie muss man sich das vorstellen?
Patrick
Also wir von Trelleborg sind wirklich größtenteils im Schienenfahrzeugbereich, im Drehgestell eingesetzt, wo es darum geht, Schwingungen und Vibrationen von Fahrgast und Fahrzeug zu entkoppeln. Also sprich, dass der Fahrgast eine angenehme und sichere Fahrt im Fahrzeug hat und nicht die ganze Zeit durch irgendwelche dynamischen Eigenschaften von Schienen und Radschienenkontakt beeinflusst wird. Wir wollen Vibrationen entkoppeln und stellen dafür alle relevanten Systeme und Bauteile zur Verfügung. Hier haben wir das Thema Systeme und Bauteile. Systeme sind z. B. Luftfiltersysteme, die sicherlich jeder kennt. Das sind diese sehr großen Luftfilter, die unter dem Wagenkasten sitzen und auch als Sekundärfederstufe bezeichnet werden. Das ist eigentlich nicht nur eine Feder, sondern das sind mehrere Federn, die da zusammenspielen und die wir entwickeln. Zu den Bauteilen zählen beispielsweise Achslenkerlager, die dazu dienen, dass sich der Radsatz in der Kurvenfahrt in den Kurvenbogen einstellen kann. Sie sorgen für Verschleiß- und Geräuschreduzierung. Eine weitere Hauptkomponente speziell auch z. B. für Regional- und S-Bahnen sind die Primärkonusfedern. Wie schon vorher erwähnt, die Luftfeder ist die Sekundär-Federstufe und die Primär-Federstufe beliefern wir mit einem Gummi-Metall-Bauteil, das sich Konusfeder nennt. Hier haben wir uns gedacht, das wäre doch ein ganz tolles Bauteil, durch das man erheblichen Mehrwert für Betreiber und Anwender generieren könnte.
Jetzt hatte Burkhard am Anfang schon angesprochen, dass es verschiedene Rollen und Stakeholder gibt. Mich würde interessieren, was so die klassischen Herausforderungen eurer Kunden in diesem Umfeld sind.
Patrick
Einerseits sind es natürlich hoch sicherheitskritische Bauteile. Also unsere Bau-teile sind in kritischen Umgebungen eingesetzt, die erheblich zur Gesamtsicherheit des Systems beitragen. Jeder kennt die schlimmen Unfälle. Wir sind ein Unternehmen, das wirklich schon ab dem Entwicklungsprozess als Spezialist zur Seite steht und auch wirklich qualitativ hochwertige Produkte an den Markt liefert. Ein weiterer Punkt ist dann auf jeden Fall die Zuverlässigkeit der Bauteile. Die müssen natürlich eine gewisse Lebensdauer erfüllen und diese auch zuverlässig erfüllen. Und dann ist natürlich der Haupteinsatzpunkt unserer Produkte, einen hohen Fahr- und Betriebskomfort zu ermöglichen und in dem Zusammenhang unseren Kunden auch Kosteneffektivität zu gewähr-leisten. Diese Herausforderung werden uns von unseren Kunden gestellt und die gehen wir auch regelmäßig in Projekten ab den ersten Entwicklungsschritten gemeinsam an. Die Anforderungen und die Anwendungen selbst spielen dabei schon in der oberen Klasse.
Wie werden denn diese Wartungen heutzutage durchgeführt? Kommt dort ein Mitarbeiter und hat bestimmte Intervalle, in denen er das prüft?
Patrick
Bei Schienenfahrzeugen ist es größtenteils so, dass die Wartungsintervalle fest sind. Feste Wartungsintervalle bedeuten in dem Fall: Entweder ist es a) eine bestimmte Nutzungsdauer von Komponenten bzw. Betriebsdauer des gesamten Fahrzeugs oder b) eine bestimmte Laufleistung. Je nachdem welche Grenze als erstes erreicht wird, definiert diese dann den Zeitpunkt der Wartung bzw. den Austausch der Bauteile. Und da sind wir natürlich an einem ganz, ganz interessanten Punkt. Diese festgelegten Wartungsintervalle sind natürlich nicht abhängig von Belastungen von den Strecken, auf denen sie eingesetzt werden, oder Umgebungsbedingungen definiert, sondern werden im Entwicklungsprozess ganzheitlich für das Fahrzeug festgelegt. Und da merkt man schon, daraus entsteht natürlich wirklich ein extrem hohes Optimierungspotential.
Generell spreche ich im Podcast ja über das Thema IoT, das heißt auch Livedaten im Feld sind interessant. Welche Daten sind dort für die Wartung speziell von Interesse? Und welches Wissen kann man aus diesen Daten generieren?
Patrick
Wir wollen natürlich aus Messdaten Informationen erstellen – das ist die Hauptaufgabe. Es ist für jeden Ingenieur sicherlich interessant, einen schönen zappelnden Graphen zu sehen, auf dem Beschleunigung und Temperaturen drauf sind. Aber der Hauptpunkt ist wirklich, für Kunden und Anwender die Informationen zu generieren, über die man natürlich eine gewisse Bauteil- und auch Systemkompetenz braucht. Und die bringen wir durch unsere Erfahrung mit und generieren aus den Messwerten, die wir wirklich mit unserem System messen, die Informationen, die dem Kunden dann wirklich einen Mehrwert bieten. An dem Beispiel, über das wir sprechen, sitzen wir z. B. mit einem Messsystem in der Konusprimärfeder und messen eigentlich Wege – wirklich rein statisch von 0 Hertz bis dynamisch 100 Hertz. Aus diesen Wegen können wir aber über die Systemkompetenz auch Sachen ableiten, wie z. B. Kräfte. Wir kennen die Charakteristik unserer Feder und können über die Federwege, die wir messen, auch Belastungen in Form von Kräften auf Drehgestelle und Fahrzeuge sehen. Und da gibt´s wirklich sehr, sehr viele Möglichkeiten, diese Daten für verschiedenste Anwendungsbereiche weiter zu verwenden und zu verarbeiten.
Das heißt, ihr bringt das Wissen mit, ihr legt bestimmte Schwellwert fest, die ihr aus eurer Kompetenz und Erfahrung zieht, die dann wiederum in diese IoT-Teillösung ein-fließen?
Patrick
Wir haben die Methoden bei uns im Haus. Eine unserer Hauptkompetenzen ist die Zuverlässigkeit unserer Bauteile. Wir berechnen vorher z. B. die Lebensdauer. Wir fragen uns, welche Belastungen sind in der Praxis zu erwarten und dementsprechend muss das Bauteil natürlich ausgelegt werden. Jetzt können wir natürlich durch das Mess-system sagen: Diese Belastungen wurden erwartet mit der erwarteten Lebensdauer und diese Belastungen wurden tatsächlich im Betrieb von dem Bauteil erfahren. Daraus können wir dann berechnen, wie lang wirklich die Lebensdauer im Betrieb ist. Das ist beispielsweise eine der Hauptanwendungen, wo man dahingehend wirklich Austauschintervalle optimieren kann.
Burkhard, eine Frage an dich: Wir hatten ja jetzt von den verschiedenen Rollen, gerade auch in der Wartung, gesprochen. Wer ist denn bei dieser Lösung der Endnutzer? Gibt es da mehrere?
Burkhard
Wir müssen im Grunde genommen immer unterscheiden: Haben wir es jetzt hier mit der Komponente zu tun oder haben wir es mit dem kompletten Fahrzeug, ei-ner Maschine oder einem System zu tun? Was wir vermehrt sehen, ist genau das, was bei Trelleborg gerade passiert, nämlich eine – ich nenne sie mal dumme – Komponente schlau zu machen. Im Grunde genommen ist es ein Bauteil, das schon sehr, sehr lange in ähnlicher Weise hergestellt wird. Und jetzt nehmen wir dieses Bauteil und machen dieses Bauteil selbst quasi zu einem Sensor, das sich zum einen selbst überwacht, zum anderen aber auch teilweise das komplette Fahrzeug zusätzlich noch überwacht. Wie Patrick das schon gesagt hat: Wir messen Kräfte auf einem Wagen, auf einem Material, das sich in irgendeiner Weise bewegt, das ermüdet. Wir haben eine ganz andere Art und Weise beurteilen zu können, wie das Gesamtwerk, das Gesamtfahrzeug, sich verändert. Dass man Lagerschäden rechtzeitig detektieren kann, dass man detektieren kann, wann ein Radreifen an so einem Fahrzeug möglicherweise nicht mehr so ganz rund ist. Hier kann ich ganz, ganz viele Informationen aus einer Komponente ableiten, die ich ohnehin brauche, und die ich jetzt einfach smart gemacht habe. Das sehen wir in vielen anderen Industrien auch, dass die Bestrebungen dahin gehen, sowas zu tun – ob das Hydraulikzylinder sind oder ob das Filter für Druckluft sind. Diese ergeben dann das Gesamtsystem. Und aus den Daten, die wir dort generieren, kann man natürlich wunderbar das Engineering des Fahrzeughersteller bedienen. Er kann aufgrund der Daten über-prüfen, ob seine Auslegung richtig ist. Wir können aus den Daten, die wir dort gewinnen, natürlich die Instandhaltung bedienen, und zwar möglicherweise rechtzeitig, um zu sagen: Pass auf, in 14 Tagen, in vier Wochen oder in acht Wochen geht möglicher-weise das Lager kaputt, tausch das doch mal aus. Wenn wir das tun können, können wir rechtzeitig ein Termin in der Werkstatt machen und den Austausch vornehmen. Wir wissen, welches Bauteil ausgetauscht werden soll. Das heißt, die Möglichkeiten, nicht nur zur Prozessoptimierung, sondern auch zu wirklichen monetären Einsparungen sind gigantisch an der Stelle. Und da sind wir – so wie ich das im Moment sehe – wirklich gerade am Anfang. Und vom Prinzip her beruht das Ganze wirklich auf dem ganzheitlichen Erfassen von Daten einer Anlage – das kann eine mobile Maschine sein, ein Zug oder eine Baumaschine, aber auch irgendeine Produktionsanlage. Und an der Stelle generieren wir dann letzten Endes Mehrwerte aus Messdaten.
Jetzt hast du gesagt, ihr seid gerade noch am Anfang. Was wird heute schon konkret getan in diesem Umfeld und was sind zukünftige Ansätze?
Burkhard
Also ich denke, im Bereich Schienenfahrzeuge wird schon lange eine ganze Menge getan, weil die Fahrzeuge oder alle Fahrzeuge, die heute da unterwegs sind, natürlich Steuergeräte, kleine Computer, Bedienpanels, haben. Also da werden natürlich schon Daten generiert. So ein komplettes Fahrzeug ist vollständig vernetzt über Bus-Systeme. Das was heute gemacht wird, ist, dass man weiß, wo es sich im Fahrzeug befindet. Man kennt den Status des Fehlerspeichers, von diesen Steuergeräten. Das ist aber häufig nach wie vor eine Art symptomatische Untersuchung. Das, was sich daraus häufig nicht ableitet, ist, wie es zu einem Fehlerbild gekommen ist. Wie ist das entstanden? Wie kann ich denn möglicherweise die Ursache beheben? Das ist das, was wir jetzt gerade versuchen, ein bisschen mehr zu etablieren. Nicht nur im Bereich der Schienenfahrzeuge, sondern auch in anderen Anwendungen. Sagen zu können: Schau doch ein bisschen tiefer in deinen physikalischen Prozess rein. An einem Verbrennungsmotor kann ich mir natürlich angucken, ob der an oder aus ist. Wie ist der Ölstand, wie ist die aktuelle Temperatur und kann dadurch Maßnahmen ableiten. Ich kann aber auch sagen, wie ist denn möglicherweise die Kombination aus einem Temperaturgradienten, einem Einspritzdruck und dem Spritverbrauch? Wie kriege ich auf Basis von einer Verbrauchs-menge, einem Kennlinienfeld, der aktuellen Drehzahl eine Art Energiezähler, der dann ein Maß und eine Größe für ein mögliches Instandhaltungsinvertvall sein könnte.
Das heißt, im Endeffekt müssen jetzt die verschiedenen Stakeholder im Schienenver-kehr anfangen, auch mit den Herstellern zu sprechen, wie am Beispiel Trelleborg. Ihr bringt da eine Intelligenz mit rein, die vorher nicht da war. Das bedeutet, man hat schon diese Überwachung durch Bus-Systeme, durch Panels, Steuergeräte etc. gehabt und jetzt kommt es aber, dass ich durch genau diese Fehlerbilder und die abgeleiteten Maßnahmen wirklich Kosten einsparen kann. Dadurch, dass ich das Wissen von Herstellern nutze, richtig?
Patrick
Definitiv. Also was wir da an Erfahrungen gemacht haben, ist – wie Burkhard auch schon erwähnt hat – dass es wirklich in den letzten Jahren extreme Fortschritte gegeben hat. Alle Zulieferer der Schienenfahrzeugindustrie wie auch z. B. wir als Trelleborg haben extreme Anstrengungen unternommen, um auch wirklich intelligente und gute Systeme auf die Beine zu stellen. Das einzige Problem, das ich tatsächlich bei der ganzen Geschichte sehe, ist, dass sich in den letzten Jahren sehr, sehr viele Insel-Lösungen gebildet haben. Viele Anbieter haben das Komplettsystem zur Verfügung gestellt. Wobei jetzt der Betreiber, der Endanwender sagt: Naja, ich bräuchte zum Beispiel von der Komponente den Sensor, von dieser Komponente würde ich gern das Gateway benutzen und von jener Komponente brauche ich nur die Temperatur und nicht auch noch die Beschleunigung. Und hier sind wir wieder beim Thema Standards, was im Bereich IoT glaube ich generell ein großes Thema ist. Wir haben tatsächlich ganz, ganz viele wichtige Informationen, die dazu beitragen, dieses ganzheitliche Monitoring zu gestalten. Aber man muss meiner Meinung nach in Zukunft den Weg zueinander finden, sodass man gemeinsame Stärken und Kompetenzen nutzt, um daraus den größtmöglichen Benefit für Endanwender und Anbieter zu generieren.
Das Thema Insel-Lösungen hört man bei vielen IoT-Themen immer wieder. Ich glaube, es ist superwichtig, einfach von einem Ökosystem-Gedanken auch systemübergreifend zu sprechen, was heute oftmals noch nicht unbedingt der Fall ist. Dann kommen in Zukunft auch die Mehrwerte besser zum Tragen. Um diesen Use Case noch mal weiterzu-führen: Wie bekomme ich denn jetzt die Daten in die Cloud? Also plump gefragt, Burkhard: Wie funktioniert das? Hänge ich eine SIM-Karte dran und schicke die Daten über Mobilfunk in die Cloud? Oder wie genau muss ich mir das vorstellen?
Burkhard
Im Grunde genommen hast du es genauso schon gezeichnet. Die SIM-Karte wird aber nicht drangehängt, die wird in das Modem reingesteckt. Unsere klassischen Edge Devices sammeln die Daten aus verschiedene Datenquellen ein. Eine Datenquelle ist unter anderem der Sensor, der in dem Dämpfer verbaut ist. Dieser liefert uns mehrere Signalquellen von mehreren Messgrößen, die wir alle aggregieren. Die speichern wir lückenlos, übertragen sie live in Echtzeit auf eine Cloud-Lösung, auf der es dann Dashboards gibt, die man sich frei gestalten kann. Hier kann man sich Kurven angucken, wo man auch schon einfache Grenzwertüberwachungen machen kann und sagen kann, jetzt wird hier ein Weg unterschritten oder eine Temperatur überschritten. Das löst eine Warnmeldung aus. Im Endeffekt ist das einfach so der erste Blick in eine solche Komponente herein. Viel wichtiger ist aber auch noch, sich die Daten über einen lan-gen Zeitraum anzugucken, um wirklich Aussagen über den Langzeitbetrieb, über die Veränderung von Werkstoffen, Materialien und Komponenten treffen zu können. Das passiert in der Regel nämlich genau bei solchen Ermüdungsüberwachungen. Man kennt es bei der Büroklammer: Die biegt man fünfundzwanzig Mal auf und zu und irgendwann bricht sie. Aber das macht sie nicht beim ersten Mal. Das heißt, je nachdem, wie oft ich diese Büroklammer biege, wird sie früher oder später kaputtgehen. Und genau das sind die Dinge, die wir beobachten. Dazu auch die Messdatenspeicherung – das können mal schnellere, mal langsamere Daten sein. Auf jeden Fall sind es Daten von vielen verschiedenen Stellen. Je mehr ich davon sammle, umso besser ist die Aussage. Das, was wir wollen, ist nicht nur Daten sammeln. Was wir wollen ist ein Nutzen für den Endanwender, für den Kunden, und für die unterschiedlichen Stakeholder produzieren. Ich möchte vorhersagen können: Wann geht eine Komponente kaputt oder muss sie für die Instandhaltung ausgetauscht werden? Sie möchte für den Betreiber verhindern, dass ein Fahrzeug auf der Strecke liegen bleibt – aus welchen Gründen auch immer. Oder für den Fahrgast vermeiden, dass die Tür nicht aufgeht und er zu einer anderen Tür raus muss – das sind alles Dinge, die wir quasi mit ein und dem gleichen Setting hinkriegen. Und da möchte ich nur noch mal sagen: Das Thema Insel-Lösung kann man nicht oft genug betonen. Auch auf das treffen wir immer wieder. Nicht nur beim Schienenverkehr, auch bei den Baumaschinen. Jeder Betreiber baut etwas Eigenes rein und der Leidtragende ist letzten Endes der Endkunde, der Betreiber dieser Maschinen, der Bauunternehmer, der auf der Baustelle steht und einfach seine Daten nicht zusammen kriegt, obwohl er sie gut gebrauchen könnte, um seine Prozesse zu optimieren. Der Betreiber im Schienenverkehr, der natürlich nicht nur wissen will, was der Motor vorne macht, was davon losgelöst meine Feder oder mein Verdampfungselement macht, sondern der will das alles in einem sehen. Das heißt, er will sein Fahrzeug verwalten oder eine Flottenansicht haben. Er will eine Liste seiner 500 Fahrzeuge und das Fahrzeug, das möglicherweise demnächst ein Problem kriegt, das muss oben auf seiner Liste stehen. Das muss vielleicht eine gelbfarbene Ampel kriegen und ich muss einfach direkt sehen und die Möglichkeit haben, an der Stelle zu handeln. Ohne, dass wir diesen Nutzen erzeugen, nutzt uns auch die gesamte Digitalisierung nichts. Das muss man immer dabei sehen.
Ich glaube die Challenge für den Endnutzer ist es, wirklich diese einzelnen Use Cases, wie du sie ganz schön beschrieben hast, am Ende zusammenzuziehen und überhaupt diese Übersicht zu haben.
Burkhard
Ganz genau und was wir versuchen, seitdem wir die Firma gegründet haben, ist, das alles quasi in einem Setting, in einem System, zusammenlaufen zu lassen und uns dabei aber auch noch nicht mal festzulegen, wohin die Daten anschließend übertragen werden, sondern dort so flexibel zu sein, dass wir unterschiedliche Verbraucher der Daten damit bedienen können. Das ist auch eine große Herausforderung und auch im-mer wieder das Problem, wenn wir raus in den Markt gehen. Weil das natürlich sehr stark diversifiziert ist, wenn unterschiedlichste Anwendungen mit den gleichen Systemen reingehen können. Bei den Baumaschinen wissen wir heute, – wir sind bspw. sehr verbreitet an Pumpen unterwegs – dass wir bis zu 40 bis 50 Prozent der Servicekosten damit einsparen können. Nicht, dass wir nur wissen, wo es im Fahrzeug steht, sondern dass wir auch wissen, was hat denn die Pumpe die letzten zwei Wochen gemacht? Wie viel Beton wurde damit gepumpt? Also wirklich hunderte von Größen aufzeichnen, die uns Informationen geben. Man sieht ähnliche Anwendungen im Bereich der Energieversorgung. Wir überwachen z. B. Hochspannungstrennschalter. Das sind diese Scheren, die auf- und zugehen und diese Hochspannungstrassen schalten. Da kann man sich vorstellen, was passiert, wenn der nicht mehr funktioniert. Dann ist eine ganze Trasse erstmal ausgeschaltet, dann gibt´s dort wirklich ein Problem. Die Wartung, die Instandhaltung von so einem Schalter ist sehr, sehr teuer. Wir haben einen gewissen Lebenszyklus und wenn man dort mehr Sicherheit reinbringt und man eine Wartung und Revision vorziehen oder verlängern kann, spart man Geld und gewinnt unglaublich an Sicherheit. Somit entstehen ganz, ganz viele Use Cases, die wirklich beeindruckend sind.
Jetzt hast du mir die perfekte Überleitung zu meiner nächsten und fast auch letzten Frage gemacht. Patrick, noch mal in deine Richtung: Was siehst du für den Endkunden als Endergebnis von diesem Case, den ihr im Schienenverkehr mit all euren Kompetenzen eingebracht habt?
Patrick
Das Interessante an der ganzen Geschichte ist eigentlich, dass wir ganz, ganz viele Ergebnisse haben. Das macht das ganze Projekt auch so spannend. Wir sehen über das Messsystem an sich nicht nur Werte bzw. Effekte aus dem Fahrzeug selbst, sondern können auch Aussagen über die Strecke machen. Was natürlich auch wieder erheblichen Mehrwert bietet. Ich zähle einfach mal ein paar Sachen auf, die man mit dem System erfassen kann: Zum Beispiel die automatisierte Messung des Setzbetrages. Sprich die Federn nehmen über die Lebensdauer bzw. Betriebsdauer einen effektiven Feder-weg ab. Das muss im Instandhaltungswerk durch z. B. Bleche, die da untergelegt wer-den, ausgeglichen werden, um die Fahrzeughöhe wieder herzustellen. Das waren bisher manuelle Messungen, wo wirklich Mitarbeiter des Instandhaltungswerks mit einem Messschieber oder einem Stahlmaßstab unter den Zug kriechen mussten – ich übertreibe jetzt ein bisschen – und diesen Betrag messen. Diese Aufgabe könnte durch das Messsystem komplett entfallen. Weiterhin können wir, da wir an dieser Position sitzen, z. B. auch Rückschlüsse auf Beladungszustände geben. Wir können sagen, wie viele Leute sind zu welcher Zeit mit dem Zug gefahren? Ich kann z. B. generell Informationen generieren und sagen: Okay, Wagen 3 ist relativ voll und mache eine visuelle Kennzeichnung am Bahnsteig. Stellt euch lieber bei einem anderen Wagen an, um mitzufahren. Für das Engineering können wir wirklich echte Lastkollektive liefern. Wir können die Frage beantworten, welchen Belastungen die Fahrzeuge wirklich im echten Betrieb ausgesetzt sind und über welche Zeit. Und auch Sachen, die zu ungeplanten Stillständen führen können, wie z. B. Flachstellen an den Rädern, wenn der Zug quasi einen Brems-platten hat. Das hört man immer schön, wenn man im Zug sitzt, und das wirklich so „Dadack dadack“ macht. Dann geht das Ding in eine ungeplante Wartung. Diese Sachen, die können wir detektieren, messen und natürlich dann auch dem jeweiligen Endkunden bzw. Endnutzer des Systems zur Verfügung stellen.
Für mich ist dabei auch immer die Übertragbarkeit interessant. Burkhard, du hast es eigentlich schon gesagt: Dieses Muster ist ja auch übertragbar auf andere Themen. Ihr seid da breit unterwegs, habe ich so verstanden.
Burkhard
Ja, also ich hatte es ja am Anfang schon erwähnt. Der Bereich Bau- und Landmaschinen ist natürlich sehr, sehr spannend. Auch da gibt´s alle möglichen Komponenten, die ausfallen können. Selbst ein Traktor, der auf dem Feld stehenbleibt, ist keine schöne Sache. Den muss ich wieder abschleppen, den muss ich reparieren lassen oder ähnliches. Es geht um das Steigern der Verfügbarkeit über alle industriellen Bereiche hinweg. Ich glaube, da ist der Fantasie letzten Endes überhaupt keine Grenze gesetzt. Deshalb habe ich am Anfang gesagt: Wir sind am Anfang mit dem, was wir tun. Bislang, würde ich sagen, haben wir einen sehr guten Einstieg gefunden. Was IoT betrifft, gehen die Themen Telematik, Positionsüberwachung oder Vermeidung von Diebstahl. Auch zu gucken: Wie ist das Fahrverhalten von dem Fahrer auf der Baustelle? Wie viel Benzin verbraucht er? Im nächsten Schritt wollen wir in die Maschine rein und schauen, dass wir die Qualität erhöhen, das möglicherweise auch die Konstruktion in den Dingen, in den Auslegungen, bestätigen und Werte quasi auf drei Ebenen geschaffen werden. Die eine Ebene ist ganz klar der Service: Ersatzteilhaltung, Verkürzung der Servicezeiten und Erhöhung der Qualität im Service. Die zweite Ebene ist das Engineering und die dritte Ebene ist letzten Endes der Endkunde. Es sollte funktionieren, das alles mit einem einzigen System zu verbauen, das durch die Menge der Mehrwerte einfach auch sehr, sehr attraktiv ist. Zum einen für den OEM und zum anderen aber auch im Retro Fitting Be-reich, um Bestandsfahrzeuge oder Bestandsmaschinen nachzurüsten, was im Übrigen auch ein sehr schöner Use Case für Trelleborg ist. Nämlich zu sagen: Na gut, dann ist der nächste Dämpfer, der in einem bestehenden Fahrzeug ausgetauscht wird, ein smarter Dämpfer. Und damit wird ein Fahrzeug, das vielleicht 20 Jahre alt ist, enorm aufgewertet und auf einmal smart.
Ich könnte noch ewig weiter mit euch philosophieren, aber bis hierhin erstmal vielen Dank für diese spannenden Einblicke. Es wurde wirklich toll aufgezeigt, für welche Stakeholder welche Mehrwerte entstehen.